"Stuttgart! Das Buch" Thomas Borgmann und 7 weitere Autoren Theiss Verlag 2013 343 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen und historischen Aufnahmen ISBN 978-3806223194 39,95 Euro
Normalerweise besprechen wir nur reine Architekturbücher und keine Darstellungen über Städte allgemein. Doch weil einer unserer Referenten für Öffentlichkeitsarbeit in der Landesgeschäftsstelle - der Architekturhistoriker Marc Hirschfell - in diesem Stuttgart-Buch das Architekturkapitel verfasst hat, weckt es unsere besondere Aufmerksamkeit. Unter dem lustvollen Titel „Reifere Dame, ledig, hübsch, sucht Einheit in der Vielfalt" hat Kollege Hirschfell hier über 42 reich bebilderte Seiten sein Credo über die architektonische Entwicklung Stuttgarts von 1900 bis heute abgeliefert. Und da gerade in Stuttgart in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Konflikt der beiden Modernen kulminierte - der traditionalistischen Reformarchitektur und der Neuen Sachlichkeit - hat dieser Wettstreit um das vermeintlich richtige Bauen ja auch eine exemplarische Bedeutung für die Architekturgeschichte Deutschlands.
Wer Hirschfell ein wenig kennt, der ahnt schon, dass die Stuttgarter Schule der 1920er Jahre mit Bonatz und Schmitthenner einen hohen Stellenwert einnimmt. Man erhält von ihm nicht die übliche Bewertung zwischen „gut" und „böse" wie sie aus der verfestigten Perspektive der Nachkriegszeit zu oft vermittelt wurde, sondern eine lehrreiche Lektüre, die auch zuweilen gegen den Strich gebürstet ist.
Ganz beiläufig wird man in die Besonderheiten der Landeshauptstadt eingeführt: von ihrer bewegten Topographie, über Merkmale der Vegetation und die gebräuchlichen Steinsorten bis zur vielleicht etwas klischeehaft rezitierten Mentalität der Bewohner. Auch städtebauliche Aspekte kommen nicht zu kurz, wie etwa die vollkommen unterschiedlichen Konzepte der Straßenführung zur Erschließung der Hanglagen in der Gründerzeit oder der Moderne. Erst wird man mitreißend in die vergangene historistische Pracht der Residenzstadt des Königreichs Württemberg eingeführt, um dann ernüchternd zu erfahren, was eine neue Generation von Architekten daran für einen „Überdruss am Überfluss" empfand. Und so geht es von Stilphase zu Stilphase mit ihren Motivationen, Erfolgen oder auch Übertreibungen. Hirschfell bleibt dabei letztlich neutral, schildert Tugenden ebenso wie Fehlentwicklungen und bilanziert, dass all die mit Furor widerstreitenden Strömungen ihren wertvollen Beitrag zur Stadtgestalt geleistet haben. Nur beim Wiederaufbau der 1960er und 1970er Jahre hat er viel Kritik parat. Auch mit der jüngsten kommerzorientierten Stadtbaupolitik geht er ins Gericht und beklagt, dass die vielen guten Architekten dieser Architektenstadt par Excellence nicht stadtbildwirksam zum Einsatz kommen.
Das stattliche Buch besticht durch fachkundige Autoren - zumeist Journalisten der Stuttgarter Presseszene - für alle Kapitel über Geschichte, Wirtschaft, Politik, Kultur, Popmusik-Szene und Sport. Ein origineller und distanziert-humorvoller Essay des österreichischen Krimiautors und überzeugten Wahl-Stuttgarters Heinrich Steinfest zieht sich etappenweise durch das ganze Buch, gibt ihm quasi das Rückgrat: eine 24-stündige Expedition durch die winterliche Stadt, von ihren hot-spots bis zu den Schmuddelecken.