Praktikerinnen und Praktiker der Baukulturvermittlung (v.l.): Till Läpple, Silvia Gebel, Barbara Thiel-Fettes, Dr. Jens Heißler, Markus Hallstein im Gespräch mit Ulrich Schwille, der die Initiative „Architektur macht Schule“ als AKBW-Landesvorstand betreut
Dass baukulturelle Bildung schon im Kindesalter ihren Platz haben sollte, ist weitgehend Konsens. Doch wer übernimmt die Vermittlung?
Oft sind es Expertinnen und Experten aus Architektur, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur oder Stadtplanung, die über jede Menge Fach-Know-how verfügen, aber pädagogisch nicht geschult sind. Andere Engagierte kommen aus der Pädagogik, haben aber Bedarf an baukulturellem Wissen. Allen gemein ist das Interesse, junge Menschen für die gebaute Umwelt zu sensibilisieren, um ein Fundament für deren eigene Urteilskraft zu legen. Die jährliche Netzwerkveranstaltung der Architektenkammer bietet den passenden Rahmen. Dieses Mal verfolgten weit über hundert Personen - zumeist an den Bildschirmen - die Vorträge.
„Von der Kita bis zum Abi“ war die 16. Neuauflage von „Architektur macht Schule“ betitelt. Dr. Petra Arndt vom TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL), Universität Ulm, machte die Teilnehmenden mit den Grundzügen des Wahrnehmens Heranwachsender vertraut. „Kinder lernen anders als Erwachsene“, führte die Bildungsexpertin aus. Ihr Gehirn sei keine unreife Version desjenigen von Erwachsenen, sondern funktioniere nach eigenen Regeln. Deshalb könne man nicht einfach das, was man selbst wahrnehme, auf Kinder übertragen. Mindestens bis zur Pubertät wachse das Gehirn weiter und stelle neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen, sogenannte Synapsen, her. Was davon bleibt, was fällt weg? Diese Frage präge ganz essenziell die Ausbildung des Gehirns. „In den ‚überlebenden‘ Verbindungen spiegelt sich alles wider, was das Kind häufig erlebt.“ Und daraus folge: „Kinder lernen alles, was sie häufig erleben.“
Auf die baukulturelle Bildung übertragen, ist die Botschaft eindeutig: Je früher und je breiter ein Kind Erfahrungen mit Architektur und gestalteten Räumen macht, desto zuverlässiger wird es eine Kompetenz in diesem Bereich aufbauen.
Arndt unterscheidet sechs verschiedene Formen des Lernens in altersabhängig unterschiedlicher Gewichtung: Gewöhnung, Perzeptuelles Lernen (Schärfung der Wahrnehmung), Lernen durch Assoziationsbildung etwa von der Skizze zum Modell (u.a. Verbindung zwischen Abbildung und Objekt), Instrumentelles Lernen etwa im Umgang mit Zollstock oder Säge (Versuch und Irrtum, Verstärkung), Induktives Lernen (aus dem Speziellen das Allgemeine) sowie Deduktives Lernen (aus dem Allgemeinen das Spezielle). Je nach Lernform ließen sich unterschiedliche Gedächtnistypen erreichen.
Schon im Kindergartenalter lasse sich sinnvolle Vermittlungsarbeit leisten, ermunterte Arndt die Multiplikator:innen. Hier allerdings insbesondere über haptisches, sinnliches Erleben – ausmalen lassen, taktile Möglichkeiten schaffen! Ab Mitte der Grundschule kommen laut Arndt auch Fähigkeiten zur Abstraktion dazu. Verschiedene Wahrnehmungsaspekte nebeneinander anzubieten, sei dann bereits sinnvoll, allerdings ermüdeten erst Kinder der Sekundarstufe I nicht mehr so schnell. Ziel sei, verschiedene Sichtweisen nebeneinander bestehen zu lassen.
Intensives Erleben könne aber auch über Sprache und Tonalität des Vortrags erfolgen: Wer begeistert erzähle, Dinge benenne und auch öfters wiederhole, steigere die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei dem Kind entsprechende Nervenzellen verbinden. Auch dessen Sinnessystem ließe sich trainieren: „Kinder müssen Sehen lernen!“, sagt Arndt – etwa die verschiedenen Grüntöne in der Landschaft. So ändere sich die Farbwahrnehmung bis zum zwölften Lebensjahr. Die Mustererkennung ähnle erst bei Jugendlichen älter als 14/15 Jahre derjenigen von Erwachsenen. Das Erkennen und Interpretieren von Tiefe und Distanz in Abbildungen verbessere sich im Alter zwischen acht und zehn Jahren. Mit sechs Jahren liege die Genauigkeit bei nur ca. 1 Meter Distanz. „Kinder beziehen sich stärker auf den Nahraum“, erklärte Arndt. Bei Jugendlichen variierten die Raumnutzung und -aneignung stark – abhängig davon, wie ‚behütet‘ sie aufwachsen würden. So ließe sich gerade bei denjenigen, die eine „unbewachte“ Kindheit mit selbständiger Erkundung ihrer Umwelt erlebten, eine viel größere Sicherheit im öffentlichen Raum feststellen als bei Kindern, die viel gefahren würden oder nicht allein herumstreifen dürften. Dementsprechend unterschiedlich nutzten die Jugendlichen die ihnen zugänglichen (öffentlichen) Räume auch schon mal „in einer Weise, die so nicht vorgesehen ist“, und „erhalten Rückmeldungen, aus denen für sie deutlich wird, dass sie in diesen Räumen nicht erwünscht sind.“ Arndt leitete daraus einen klaren Auftrag an die Stadtplanung ab, die Präferenzen Jugendlicher etwa über Beteiligungsprozesse zu ermitteln.
Das Fazit der Wissenschaftlerin: So wichtig es sei, baukulturelle Bildungsformate zu wählen, die dem Entwicklungsstand der Heranwachsenden entsprächen, so erfolgsentscheidend sei letztlich aber die persönliche Begeisterung der Vermittler:innen. Deshalb ermunterte Arndt die Anwesenden ausdrücklich, ihren eigenen Weg einzuschlagen: einen, auf dem sie sich wohlfühlen und authentisch wirkten. So steige auch die Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen, sich auf das Thema einzulassen – immer unter Berücksichtigung der jeweils eigenen Art zu lernen. Wichtig auch: Feedback zu den Ergebnissen geben, auch wenn sie nicht überzeugten. Dann empfehle sich, die Anstrengung zu loben um zum weiteren Üben zu motivieren.
In die Praxis übersetzt
Doch was heißt das nun für die konkrete baukulturelle Bildungsarbeit? Je nach Zielgruppe eignen sich bestimmte methodische Ansätze mal mehr, mal weniger – entsprechend den verschiedenen Arten, wie Kinder und Jugendliche die Welt wahrnehmen und lernen.
Einen Vorschlag für den frühkindlichen Bereich hatte Dr. Jens Heißler mitgebracht. Der Architekt stellte ein dreigliedriges Konzept für die Raum-Erfahrung eines Kindergartens vor: Beginnend mit einem Versteckspiel, bei dem die Kinder Raum, Licht, Geräusche, Materialien ihres ausgesuchten Platzes unmittelbar erleben, wird in Phase zwei eine Geschichte über den Ort erzählt, an dem sie sich gerade aufhalten - gespickt mit Vokabeln, die Sinneseindrücke beschreiben wie der wärmende Lichteinfall, die Leiter für neue Blickbeziehungen, das Holz der Wände. In einem dritten Schritt malen die Kinder eine einzelne Situation aus der Geschichte oder bauen ein Modell, um die Fülle an Sinnesreizen auf ihre Art zu verarbeiten.
Auf dem Podium: Silvia Gebel (li) und Barbara Thiel-Fettes; rechts im Bild: Moderatorin Gabriele Renz, AKBW-Pressesprecherin
Während die ganz Kleinen fast ausschließlich über die Emotions- und Körperebene abzuholen sind, lassen sich Kindern im Grundschulalter durchaus auch schon für komplexere Themen begeistern – wie Silvia Gebel, Leiterin Bildung und Vermittlung beim StadtPalais Stuttgart, sowie Barbara Thiel-Fettes von der StadtbauAkademie darlegten. Zum Beispiel für die Entwicklung eines eigenen Stadtquartiers, wobei die die fußläufige Erreichbarkeit den Radius vorgibt. Mit eigenen Stadtbausteinen können die Kinder dann ein gemeinsames Wimmelbild gestalten. Empfehlenswert fürs Grundschulalter sind auch der Bau von Türmen, Brücken oder Baumhäusern, zumal das Thema im Bildungsplan der Grundschule verankert ist. Hier spielen mathematische und konstruktive Erkenntnisse mit herein, auch Materialien wie Bambus können auf die Kinder eine ganz eigene Faszination ausüben. Zentral für diese Altersgruppe: Den kreativen Raum öffnen, aber auch einen gewissen Rahmen setzen; die Kinder im eigenen Erfahrungsraum abholen und von dort einen Schritt weitergehen; Rhythmisierung durch viele praktische Aufgaben, die das theoretisch Gelernte festigen.
Welche Begeisterung schon allein das rein Handwerkliche bei Denkmälern hervorrufen kann, zeigte Till Läpple, Architekt und gelernter Steinmetz. Mit der Sekundarstufe I erforscht er häufig Sanierungsobjekte im Leerstand. Gestartet wird mit einer Rechercheaufgabe zur Denkmalpflege, deren Ergebnisse die Schülerinnen und Schüler vorstellen, dann wird das Gebäude in Kleingruppen erkundet, Gebäudestruktur und Konstruktion werden ermittelt, etwa durch eine Bauteilöffnung Tiefenschichten entdeckt und interpretiert. Dazu Läpple: „Erstaunlich, was die Phantasie ergänzt, so dass sie sehr schnell ein komplexes Gebäude verstehen können.“ Einen interessanten Anknüpfungspunkt stellten auch immer Schadensbilder dar, etwa eine kaputte Dachrinne. Was passiert, wenn das Wasser nicht mehr wie vorgesehen abgeleitet wird? Haptische Erfahrungen spielen auch bei dieser Altersgruppe eine wichtige Rolle: Putz krumelt, Holz splittert, Stein sandelt. Mit der Herstellung von Farben schließlich lassen sich Baustoffkreisläufe verdeutlichen.
Für die Sekundarstufe II sei „eine klassische Architekturführung eine tolle Sache“, ist Markus Hallstein überzeugt – insbesondere, wenn zuvor aktivierende Fragen gestellt würden. Dem mündlichen Vortrag sollte etwas Praktisches wie eine zeichnerische Auseinandersetzung mit dem Gebäude folgen. Gute Erfahrungen hat der Kunst-Pädagoge auch mit dem Instrument der fotografischen Selbstinszenierung im Raum gemacht. Es gehe darum, Architektur zu erfahren, zu erspüren, sie sich anzueignen. Auch ein Mittel, den Raum weiter zu interpretieren: Gegenstände oder Materialien hinzufügen. Der Fachberater Bildende Kunst verwies auf den enormen Mehrwert durch die Kooperation mit einer Fachkraft aus Architektur oder Stadtplanung, zumal diese Inhalte im Studium der Kunstpädagogik nicht berücksichtigt seien. Sein Tipp für die Sek II: Den jungen Erwachsenen Einblicke in den Entstehungsprozess der gebauten Umwelt geben durch den Klassen-Besuch in einem Architekturbüro.
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