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Eine Rückschau auf die Regionalkonferenz „Inklusiv Gestalten“ vom 8. Februar 2019 im Hospitalhof Stuttgart
Ein guter Anfang kann die Weichen stellen. Das gelang der ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein mit den Worten „Sport ist egal“. Sie verwies auf die Dringlichkeit des Themas, mit dem sie auch an dieser Konferenz mit voller Überzeugung dem Sport fremdging, denn Inklusion ist ein Menschenrecht.Jürgen Dusel, Bundesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung, begrüßte ein mit knapp 400 Teilnehmenden volles Haus und betonte, dass wir von insgesamt 14 Millionen betroffenen Menschen sprechen, wird doch oft nur die 100-prozentige Einschränkung im Zusammenhang mit behinderten Menschen herangezogen. Dazu zählen aber auch Menschen mit Handicaps aller Art– ob „dick, klein oder groß“, fügte Bärbl Mielich, Staatssekretärin im Landesministerium für Soziales und Integration, in ihren Begrüßungsworten hinzu. Das machte das Feld auf, der Fokus war nicht alleine auf den Rollstuhl gerichtet.Es sollte diskutiert werden über inklusives Gestalten, über das Bauen für alle und, wie es die Moderatorin fassbar einführte, „wenn alle dabei sind“, und bat auf das Podium: Stephanie Aeffner, Landes-Behindertenbeauftragte von Baden-Württemberg, Simone Fischer, Stuttgarts Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, und Markus Müller, den Präsidenten der Architektenkammer Baden-Württemberg. Jürgen Dusel führte an, dass es der Expertise bedarf, um den diversen Formen von Behinderung gerecht zu werden, und dass es wieder einmal die skandinavischen Länder sind, die uns Vorbildsein können für Barrierefreiheit und inklusives Gestalten. Er erwähnte das Bundesteilhabe- Gesetz, in Kraft seit 2017 und leider noch wenig publik; Bärbl Mielich unterstrich die Verankerung in der Bundesbauordnung.Auch Stefanie Aeffner und Simone Fischer wussten: „Das Thema muss in die Köpfe!“ Markus Müller sah die Architektenkammer in der Verpflichtung und benannte die Fortbildungsangebote. Gleichzeitig wollte er geleistetes Engagement gewürdigt wissen und rief zu Einreichungen zum „Dr. Ursula Broermann-Preis für beispielhaftes barrierefreies Bauen 2019“ auf, der jetzt zum vierten Mal ausgelobt wurde.
Mit den Praxisbeispielen wurde es konkreter. Katrin Müller-Hohenstein machte neugierig mit: „Es kann sexy sein, inklusiv zu bauen.“ Henning Volpp (Gesellschaft für soziales Planen) stellte das „Nachbarschaftshaus Scharnhauser Park“ vor, konzeptionell inspiriert vom Bild des Wattes, wo Festland und Meer ein „Inbetween“ bilden, so könnte Inklusion aussehen. Aber ohne die Unterstützung von Herbert Rösch (Erich und Liselotte Gradmann-Stiftung) als Bauherr, dem es ein Anliegen ist, dass die Kommune dafür zu sorgen hat, Quartiersentwicklung also Nachbarschaft wieder zu lernen, hätte dieses Projekt nicht entstehen können. Das gilt für alle drei Beispiele, auch die inklusive Wohnbebauung am Neckarbogen in Heilbronn, vorgestellt von Jörg Weinbrenner (weinbrenner.single.arabzadeh) und Pfarrerin Sybille Leiß (Evangelische Stiftung Lichtenstern). Die wäre ohne Initiative der Stadt Heilbronn nicht zu realisieren gewesen. Über den Tellerrand blicken können wir, wenn wir „Erlenmatt Ost“ in Basel näher betrachten. Ohne das Engagement von Urs Buomberger, Projektentwickler der Stiftung Habitat, hätte der „Boden für eigenständige Lebensführung“ in diesem alters-, rollstuhlgerechten und baulich flexiblen Quartier nicht geebnet werden können. Die Architektin Nadine Gordon verglich das Konzept des Züricher Büros Galli Rudolf Architekten mit einer Muschel, die sich zu Gleisfeld und Autobahn abschottet, aber im Inneren glänzt. Dem blinden Zuhörer mit seinem so vorbildlich erzogenen und trainierten Hund unter dem Stuhl hätte es noch viel mehr vermittelt, wenn die detailreiche Architektur mit dem rot gefärbten Beton und den floralen Durchbrüchen in Worte gefasst worden wäre. Gebärdensprache gab es doch auch.
Das zeigt aber: Bauen für Menschen mit Behinderung ist komplex. Schwellen, die Blinden Orientierung bieten, stellen Barrieren für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen dar. Es bleibt das Gefühl, dass Inklusion einen Stellenwert hat, den wir noch nicht ansatzweise verinnerlichen konnten. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Veranstaltung – vorwiegend direkt oder indirekt Betroffene, politisch Verantwortliche und Architekten – sind aufgerufen, dran zu bleiben und die Brisanz weiterzutragen. Insbesondere Architekten sollen als Multiplikatoren agieren, denn anspruchsvolle Architektur tut Not, so die Abschlussworte. Empathie ist gut, aber mehr noch das Verständnis, dass diese „kein Ersatz ist für Barrierefreiheit“, sagte Simone Fischer. Denn genauso wichtig ist Autonomie für alle – das ist soziale Gerechtigkeit.
Von Birgit Rathfelder