In einer aktuellen Entscheidung setzt sich das OLG Karlsruhe ausführlich mit Fragen zum RPW-Wettbewerb auseinander.
Viele gerichtliche Entscheidungen über RPW-Wettbewerbe gibt es nicht. Die einen sagen (zu Recht), dass genau dies die Rechtssicherheit des Wettbewerbs beweist, andere lassen sich (zu Unrecht) einreden, dass deshalb eine Vielzahl an Fragen ungeklärt und deshalb angreifbar wäre.
Das OLG Karlsruhe hat in einem aktuellen Beschluss vom 10. August 2021 (15 Verg 10/21) zu wesentlichen Fragen Stellung bezogen.
A. Sachverhalt Ausgelobt wurde ein Realisierungswettbewerb „Neubau eines 2-gruppigen Kindergartens“ für ca. 45 bis 50 Kinder. Der Neubau der Kindertageseinrichtung soll als Ersatzbau für das nicht mehr sanierungs- und erweiterungsfähige Bestandsgebäude erfolgen.
Vier Teilnehmer wurden vorab ausgewählt („gesetzt“), elf weitere konnten sich über Referenzen, Nachweise und Losziehung zur Teilnahme qualifizieren.
Die Ausloberin hat sich eine umfangreiche Möglichkeit zum Nachweis der Auswahlkriterien einfallen lassen (vereinfachte Zusammenfassung):
A 1: Referenzobjekt "Neubau oder Umbau/Sanierung Kindergarten" => Unmittelbar vergleichbares Projekt (40 P.) B 1: Referenzprojekt "Neubau o. Umbau/Sanierung allgemein mit öffentlichem Auftraggeber" (30 P.) B 2: Referenzprojekt "Neubau oder Umbau/Sanierung allgemein" (20 P.) C 1: Referenzprojekt "Holzbau: Kindergarten/Bildungsbau" (40 P.) C 2: Referenzprojekt "Holzbau: Neubau allgemein" (20 P.) D 1: Referenzprojekt "Wettbewerbserfolg" (10 P.) D 2: Referenzprojekt "ausgezeichnetes, realisiertes Projekt" (20 P.)
Bei den Referenzprojekten A, B und C war keine Mehrfachnennung möglich. Die Auswahlkriterien waren erfüllt, wenn die Referenz A 1 oder die Referenz C 1 oder insgesamt mindestens 60 Punkte aus einer Kombination der übrigen Referenzen nachgewiesen werden konnte.
Ein Teilnehmer rügte und stellte schließlich einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg, der von ihr zurückgewiesen wurde. Der Antragsteller hatte die Kosten des Verfahrens und die Rechtsanwaltsaufwendungen zu tragen. Seine sofortige Beschwerde gegen den Beschluss beim OLG Karlsruhe hatte keinen Erfolg. Die Ausschreibung wurde mithin von zwei Instanzen vollständig akzeptiert.
B. Wesentliche Aussagen Die wesentlichen Aussagen der Entscheidungsbegründung des OLG lauten: => Können sich Architekten überhaupt rechtlich gegen einen Wettbewerb und seine Zugangsbedingungen wehren? Es klingt wie selbstverständlich, ist es aber nicht: Gibt es überhaupt Rechtsschutz gegen einen Wettbewerb und das vorherige Bewerbungsverfahren? Denn vom reinen Wortlaut her unterliegen nur öffentliche Aufträge und Konzessionen der Nachprüfung durch die Vergabekammern. Wettbewerbe sind aber keine öffentlichen Aufträge und auch keine Konzessionen.
Das OLG kommt zum Ergebnis, dass man sich gegen Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers wehren können muss. Dies ergibt sich aus dem Europarecht und der europäischen Rechtsprechung. Deshalb unterliegt „jedes materielle Beschaffungsverfahren des öffentlichen Auftraggebers, auch außerhalb des förmlichen Vergabeverfahrens der Nachprüfung“.
=> Wie wird das Preisgeld bei der Schätzung des Auftragswertes berücksichtigt? Die Schätzung des Auftragswertes ist maßgeblich für die Frage, ob sich das Vorhaben unterhalb oder oberhalb der EU-Wertgrenze ("Schwelle") befindet. Der Weg zur Vergabekammer ist nur oberhalb der Schwelle möglich.
Bei der Berechnung des Auftragswertes ist das voraussichtliche Honorar zuzüglich Nebenkosten sowie Preisgeld zu berücksichtigen, so das OLG. Auch wenn das Preisgeld des Siegers am Ende anteilig auf sein Honorar angerechnet wird, ist es bei der Schätzung des Auftragswertes vollständig zu berücksichtigen. => Müssen Auswahlkriterien geringere Anforderungen erfüllen als Eignungskriterien? Rechtlich umstritten ist, wie die beiden Begrifflichkeiten Auswahl- und Eignungskriterien rechtlich bewertet werden. Sind sie gleichzusetzen oder erfassen sie unterschiedliche Prüfvorgaben? Im vorliegenden Fall wurden die beiden Kriterien gleichgesetzt – das OLG hatte dagegen keine Einwände.
=> Wie lange kann der Referenzzeitraum vorgegeben werden? Die Vergabeverordnung sieht einen grundsätzlichen Referenzzeitraum von drei Jahren vor. Längere Zeiträume sind aber möglich. Vorliegend wählte de Auslober einen Zeitraum von zehn Jahren. Selbst diesen hielt der Antragsteller immer noch für zu kurz.
Zu Unrecht, sagt das OLG: „Mit der Festlegung auf 10 Jahre hat die Antragsgegnerin einen ausreichend langen Zeitraum gewählt.“ => Ist die Vorgabe einer Referenz „öffentlicher Auftraggeber (B 1)“ zulässig? In der Verordnungsbegründung zur Vergabeverordnung heißt es wörtlich: „Für die Vergleichbarkeit der Referenzprojekte ist es nicht zwangsläufig erforderlich, dass das Referenzprojekt die gleiche Nutzungsart wie das zu planende Projekt aufweist. Beispielsweise ist es in den meisten Fällen unerheblich, ob die zu planende Baumaßnahme für einen öffentlichen Auftraggeber erfolgte oder für einen privaten Bauherrn.“ Nun wird als Referent B 1 aber genau eine solche Vorgabe gemacht.
Das OLG hat damit keine Probleme: „Dass die Vorlage einer Referenz für einen öffentlichen Auftraggeber mit leicht erhöhtem Punktwert als eine von mehreren Referenzen zugelassen wurde, war nicht unangemessen. Denn die Anforderung ist auftragsbezogen, sind doch beim Bauen für den öffentlichen Auftraggeber strengere Vergabe- und Rechnungskontrollen sowie die formalisierten Abstimmungsprozesse zu beachten, wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat.“
Aber Achtung! Die Zulässigkeit lässt sich hier nur anhand dieses Einzelfalls begründen, in dem der Auslober ein breites Spektrum an Referenzvorlagen (A-D) zugelassen hat. Wäre die Referenz B 1 allein maßgeblich für die Qualifizierung gewesen, dürfte die Entscheidung aus unserer Sicht anders ausgefallen sein. => Ist die Vorgabe einer Referenz „unmittelbar vergleichbares Projekt (A 1)“ zulässig? Das OLG stellt fest: „Dass die Antragsgegnerin eine Referenz für ein vergleichbares Objekt verlangte, um eine hohe Punktzahl zu erreichen, ist nicht zu beanstanden. Denn Gegenstand des Wettbewerbs ist es gerade, den am besten geeigneten Bewerber für die planerische Umsetzung des ausgeschriebenen Projektes zu finden.“
Aber Achtung! „Eine Wettbewerbsverengung trat schon deshalb nicht ein, weil die Referenz A 1 nur eine aus einer Vielzahl von Möglichkeiten war, um die geforderte Punktzahl zu erreichen“, so das OLG wörtlich.
=> Was das Verbot der Mehrfachbenennung der Referenzen A – C unzulässig? Es war nach Ansicht des OLG nicht diskriminierend und unangemessen, dass die Antragsgegnerin bei den Referenzprojekten der Kategorien A, B und C keine mehrfache Nennung zuließ. Denn die Auswahlkriterien erfüllte der jeweilige Bewerber schon dann, wenn er entweder eine Referenz nach der Kategorie A oder eine Referenz nach der Kategorie C 1 oder mindestens 60 Punkte aus einer Kombination der übrigen Referenzen nachweisen konnte.
Aber auch hier Achtung: Das OLG schreibt weiter: „Da es die Antragsgegnerin ausreichen ließ, wenn ein Teilnehmer von 180 möglichen 60 Punkte erreichte, und die Referenzen ganz unterschiedlichen Kriterien zuordnete […] stellte sie keine überzogenen Anforderungen und hielt die Schwelle so niedrig, dass es auch kleineren Büros möglich war, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Dass die Vorgaben der Antragsgegnerin nicht wettbewerbsverengend waren, zeigt sich auch daran, dass sich insgesamt 45 Büros um die Teilnahme bewarben.“ => Ist das Setzen von Architekturbüros zulässig? Das OLG Karlsruhe beschäftigte sich mit der Frage, ob Architekturbüros überhaupt gesetzt werden können. Bekanntermaßen sieht lediglich das EU-Formular ein Feld hierfür vor, das Vergaberecht trifft dazu keine Aussage. Das OLG kommt zum Ergebnis, dass der Wettbewerbsgrundsatz nicht verletzt wird, wenn die Anzahl dieser vorausgewählten Bewerber in einem angemessenen Verhältnis zur Anzahl der Teilnehmer steht, die zum eigentlichen Realisierungswettbewerb zugelassen werden: „Maßgeblich ist, dass die Anzahl der übrigen Bewerber so hoch ist, dass der Wettbewerb gewährleistet ist. Dies war hier der Fall, weil vorgesehen war, dass neben den 4 gesetzten Büros 11 Teilnehmer am Wettbewerb teilnehmen.“
Beim Vergleichsmaßstab von 5 Mindestteilnehmern, den das OLG unter Anwendung einer Vorschrift aus der Vergabeverordnung zieht, „ist nichts dafür ersichtlich, dass eine Anzahl von 11 ausgelobten Teilnehmern zu gering wäre, um ausreichenden Wettbewerb zu gewährleisten.“ => Ist das Setzen von regionalen Architekturbüros zulässig? Vier Architekturbüros wurden gesetzt. Alle kamen aus der Stadt der Ausloberin selbst. Der Antragsteller rügte diese Regionalität. Ohne Erfolg! Das OLG erklärte dazu: „Im Hinblick darauf, dass die überwiegende Anzahl der Bewerber in einem wettbewerblichen Verfahren ermittelt wurde, wurde durch das Setzen von 4 Bewerbern aus … auch kein vergaberechtlich zu beanstandender regionaler Schwerpunkt gesetzt.“
Wichtig ist, dass die gesetzten Bewerber die aufgestellten Eignungskriterien ebenso erfüllen.
=> Wann ist ein Preisgeld zu niedrig? Preisgelder in Wettbewerben sollten angemessen zur Aufgabe sein. Gerade kleinere Bauaufgaben sind für Büros nicht sonderlich attraktiv, weshalb ein guter Auslober das Interesse mit einem vernünftigen Preisgeld auch weckt. Im vorliegenden Fall betrifft das Preisgeld „mehr als 10 % des angesetzten Aufwandes, so das nicht festgestellt werden kann, dass es unangemessen niedrig ist.“
C. Einordnung der Entscheidung Natürlich betrifft die Entscheidung allein einen Einzelfall. Transfers sollten daher gut abgewogen werden, vor Verallgemeinerungen wird daher gewarnt. Auch ist es möglich, dass andere Gerichte davon abweichen. Zudem ist nicht bekannt, wie sich der Bundesgerichtshof (BGH) dazu einlässt.
Dennoch werden verschiedene Fragestellungen aufgeworfen und vom OLG geprüft. Das Wettbewerbswesen wird dadurch gestärkt.