Die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze ist europarechtswidrig. So weit ist die Entscheidung des EuGH klar. Doch ab wann „wirkt“ die Entscheidung?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 4. Juli 2019, dass die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze gegen Europarecht verstößt. Findet die Entscheidung damit unmittelbar auf laufende Verträge oder Rechtsstreitigkeiten Anwendung?
Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hatte bereits kurze Zeit später, am 17. Juli 2019 (14 U 188/18), über einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Klägerin Honorarnachforderungen aus Ingenieurverträgen, die zwischen 2010 und 2014 geschlossen wurden, geltend machte. Die Klägerin berief sich darauf, dass die Mindestsätze der HOAI unterschritten wurden und beanspruchte deshalb die Mindestsätze. Bislang unterlagen die Mindestsätze den Vorgaben des bindenden Preisrechts, das grundsätzlich nicht unterschritten werden durfte. Das OLG Celle lehnte die Nachforderung indes ab: Die Entscheidung des EuGH wäre auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Denn die Gerichte seien verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. Das OLG Celle legte keine Woche später auch noch einmal nach: Am 23. Juli 2019 (14 U 182/18) hatte es über einen ähnlichen Fall zu entscheiden und bekräftigte, dass Honorarvereinbarungen nicht (mehr) deshalb unwirksam sind, weil sie die Mindest- oder Höchstsätze der HOAI unter- oder überschreiten. Wer also Verträge unterhalb der Mindestsätze geschlossen hatte, konnte sich nicht mehr auf das verbindliche Preisrecht berufen.
Am gleichen Tag, dem 23. Juli 2019, wurde rund 200 Kilometer weiter über einen vergleichbaren Fall entschieden. Wieder ging es um einen Ingenieur, wieder machte dieser gerichtlich die Mindestsätze geltend, weil diese unterschritten wären. Nun hatte aber das OLG Hamm die Klage auf dem Tisch (21 U 24/18) und kam zum gegenteiligen Ergebnis als Celle: Selbstverständlich könnten sich die Parteien trotz der EuGH-Entscheidung auf die Mindest- und Höchstsätze weiterhin berufen. Für den einzelnen Unionsbürger habe die EuGH-Entscheidung keine Rechtswirkung, weshalb die HOAI weiterhin – und zwar in Gänze – Anwendung fände.
Es wurde noch besser: Dem OLG Hamm schloss sich das Berliner Oberlandesgericht an, das aus historischen Gründen dort Kammergericht heißt. Dem OLG Celle schloss sich wiederum das OLG Düsseldorf an. Für alle Prozessbeteiligten ist es daher derzeit schwer einzuschätzen, ob die EuGH-Entscheidung nun bei Privaten Anwendung findet oder nicht. Klärung wird wohl erst der Bundesgerichtshof (BGH) bringen können, doch ist mit einer Entscheidung erst Mitte 2020 zu rechnen. Ggf. wird sich der EuGH dazu noch selbst äußern; Gelegenheit dazu hätte er, da ihm noch eine Frage des Landgerichts (LG) Dresden vorliegt mit ähnlicher Fragestellung. Nicht nur Nichtjuristen wundern sich, dass eine derart wichtige Frage – ab wann findet eine EuGH-Entscheidung zu einem Vertragsverletzungsverfahren Anwendung? – nicht rechtlich geklärt ist.
Eine Volte weiter drehte den Kreis der Entscheidungen das LG München I (Beschl. v. 24.09.2019 – 4 O 13187/19), auf das der Münchener Rechtsanwalt Gawlik hinwies (IBR 2019, 3394, der Beschluss liegt im Wortlaut nicht vor). Danach sei auch der Umbauzuschlag nicht mehr anwendbar, denn auch er diene der Durchsetzung der Mindestpreisgarantie und sei deshalb europarechtswidrig. Der Architektenrechtler Heiko Fuchs hielte eine solche Begründung nicht für nachvollziehbar: „Der Umbauzuschlag ist nicht mindestsatzrelevant, da er auch mit Null Prozent vereinbart werden darf,“ so Fuchs in einer ersten Anmerkung zu den Hinweisen Gawliks. Die Ansicht von Fuchs zum Umbauzuschlag hatte bereits zuvor der Reutlinger Rechtsanwalt Ulrich Locher in einem vielbeachteten Aufsatz in der Zeitschrift „Baurecht“ vertreten. „Totgesagte leben länger“, betitelte er passend seine Ausführungen zur weiteren Anwendbarkeit der HOAI. Denn nur die Mindest- und Höchstsatzverbindlichkeit ist nach dem EuGH europarechtswidrig, nicht mehr, nicht weniger.
Mit schneller Rechtsklarheit ist erst einmal nicht zu rechnen. Deshalb sollten Architektenverträge schriftlich geschlossen und die HOAI in der Fassung von 2013 zur Rechtssicherheit explizit als Honorierungsgrundlage vereinbart werden. Ansonsten bleibt der Blick gen Karlsruhe zum BGH, wie er die Rechtsfrage bewertet.
Eric Zimmermann / 06.11.2019
Weitere Beiträge
Qualifizierungsprogramm BIM
Building Information Modeling (BIM) dient dem Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken und unterstützt die Zusammenarbeit unter den ...
Der Schutz Ihrer personenbezogenen Daten wird von uns ernst genommen, darum informieren wir Sie hier. Um den Inhalt und die Funktionalität der Webseite für Sie zu optimieren, verwendet die Architektenkammer Baden-Württemberg Cookies. Wenn Sie diese nicht akzeptieren, können Sie unsere Seiten nicht nutzen.