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Markus Weismann, asp architekten, spricht im Interview mit Gabriele Renz, Pressesprecherin der Kammer, über die Idee hinter dem Siegerentwurf im Wettbewerb "Neuer Stadtraum B14 Stuttgart-Mitte 2019". Er wünscht sich "eine neue Umsetzungsmentalität, die mit Offenheit und auf Augenhöhe vorangetrieben wird."
Was ist die große Überschrift Ihres Entwurfs? MW: Die Transformation der B14 in eine ganz normale Stadtstraße. Oder wie es mein Büropartner Cem Arat ausgedrückt hat: Die B14 soll von einem monofunktionalen Verkehrsbauwerk in einen vielgestaltigen Lebensraum umgewandelt werden. Wir haben die Vision eines maximal durchgrünten Stadtraums, der ökologisch wertvoll ist und die Bedürfnisse und Sehnsüchte der hier lebenden Menschen erfüllt. Unser Entwurf wandelt die überdimensionierten Verkehrsräume in maßstäbliche Aufenthalts- und Lebensräume um. Den vier Kilometer langen Abschnitt vom Neckar bis zum Marienplatz betrachten wir als spezifische Sequenzen, auf die wir jeweils unterschiedlich reagieren. Die Abschnitte werden durch prägnante Platzräume gegliedert, alte wie neue Querverbindungen vernetzen die Stadtteile bis tief in die angrenzenden Quartiere, Barrieren werden abgebaut.
Welchen Anteil hat Corona an dieser Wettbewerbsentscheidung?
MW: Grundsätzlich entwerfen wir immer gern in interdisziplinären Teams. Den Wettbewerb B14 haben wir mit Koeber Landschafsarchitektur und StetePlanung aus Darmstadt bearbeitet. Dabei haben wir den ersten Entwurfs-Workshop kurz vor dem Lockdown an einem physischen Arbeitsmodell im Büro durchgeführt. Da entstand die Grundidee, es folgten intensive Diskussionen in stundenlangen Videokonferenzen. Die Fertigstellung erfolgte wieder im Büro. Möglicherweise haben die Erfahrungen während des Lockdowns, als man nur einzelne Menschen im Freien treffen konnte, die Diskussionen im Entwurfsprozess beeinflusst. Die Qualität öffentlicher Räume spielt für unser Büro schon immer eine große Rolle. Wir sind dabei stark von den Strukturalisten um Aldo van Eyck geprägt, der in den 1950er Jahren forderte, dass Räume und Umgebungen Menschen verbinden müssen. Ebenso folgen zahlreiche seiner Entwürfe der Analogie von Leon Battista Alberti: Die Stadt sollte wie ein großes Haus sein und ein Haus wie eine kleine Stadt. Meiner Meinung nach ist das ein bis heute gültiges Leitbild. Man könnte die Sequenzen und Platzabfolgen in unserem Entwurf auch als eine Abfolge von „Stadtzimmern“ bezeichnen, jeweils unterschiedlich gestaltet und ausgestattet.
Gab es in der Diskussion eine größere Offenheit für Stadtraum-Gestaltung?
MW: Stadt ist für uns vor allem ein Lebensraum, geprägt von Aktivitäten, Begegnungen und sozialem Austausch! Neben der räumlichen Ebene denken wir in allen unseren Entwürfen sehr stark programmatisch, in Verbindungen und Netzen, sowohl sozial als auch funktional. Dabei arbeiten wir mit einem maßstabsübergreifenden Planungsansatz, ausgehend von langfristigen, strategischen Anforderungen. Zugleich versuchen wir die Sichtweise zukünftiger Bewohner einzunehmen und deren Bedürfnisse abzufragen. Wir bearbeiten unsere Projekte im Prinzip parallel aus zwei Richtungen: vom Großen ins Kleine und umgekehrt. Grundlage unseres Vorschlags für die B14 war die genaue Analyse unserer Verkehrsplaner, auf dieser setzen alle Maßnahmen auf.
Stuttgart steht für viele Städte im Land, die dem Verkehr hinterhergebaut haben. Was war hier die größte Herausforderung?
MW: Mit der Vorgabe der Reduzierung des Verkehrs um 50 Prozent ist die Stadt, gemessen am Status quo, ambitioniert. Ich denke aber, gerade die Automobilregion beginnt zu begreifen, dass der anstehende Strukturwandel nicht nur ein technischer Wandel sein kann, sondern auch ein kultureller und gesellschaftspolitischer Wandel sein muss. Lärm, verstopfte Straßen und tägliche Staus bedeuten neben einer geringeren Lebensqualität eben auch negative Standortfaktoren. Die Beschäftigung mit stadtverträglichen Formen neuer Mobilität ist insofern ein Denken zur Zukunftssicherung. Die größten Kontroversen werden aber erst jetzt nach der Wettbewerbsentscheidung auftreten. Ideenwettbewerbe zeigen, wie der Name sagt, in erster Linie Möglichkeiten und Ideen auf. Jetzt liegt es an Politik, Verwaltung und Bürgerschaft, die Vorschläge zu diskutieren, zu bewerten und konsequent voranzutreiben. Hierzu bedarf es einer mutigen, respektvollen und zugleich transparenten Planungskultur, zu der wir Architekten und Planer auch unseren Teil beitragen müssen und wollen.
Sie sind in der AKBW Vorsitzender der Strategiegruppe „Neue Arbeitswelten“. Was heißt das für Sie?
MW: Wir stehen am Beginn eines tiefgreifenden Strukturwandels. Die Auswirkungen des Klimawandels werden spürbar, Künstliche Intelligenz wird viele Arbeitsabläufe stark beeinflussen, dies wird unsere Region verändern. Ich glaube deshalb, dass wir Architekten uns intensiv mit neuen Leitbildern wie beispielsweise der produktiven Stadt beschäftigen müssen. Gewerbegebiete müssen sich zu gemischten Gewerbe- und Wissensquartieren wandeln, die auch ökologische Funktionen übernehmen und zugleich als bedeutende Teile der Stadtregion wahrgenommen werden. Der Diskurs mit angesehenen Kolleginnen und Kollegen in der Strategiegruppe ist für mich sehr bereichernd. Ich bin zuversichtlich, dass wir die notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb der Kammer, aber auch in der Öffentlichkeit ein Stück voranbringen können.
Und was wünschen Sie sich konkret in Stuttgart?
MW: Mich beschäftigt zunehmend die Qualität von Planungsprozessen und die Kommunikation von komplexen Planungsinhalten. Beide Projekte, der Rahmenplan Rosenstein wie auch der geplante Umbau der B14, werden die Stuttgarter auf lange Sicht begleiten. Beide sind auf ihre Weise jedoch von sehr unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen geprägt. Wir müssen die Rahmenbedingungen und übergeordneten Ziele im Vorfeld eindeutiger klären bzw. formulieren. Meiner Meinung nach sollten wir viel stärker vom Ziel her denken: Was wollen wir am Ende für Bürger und Stadt erreichen? Ansonsten sind die Möglichkeiten zur tatsächlichen Abwägung und Aushandlung der unterschiedlichen Anforderungen eingeschränkt, die notwendige Transparenz und der Austausch mit der Bürgerschaft wird erschwert.
Was heißt das für den Prozess? Eine neue Umsetzungsmentalität?
MW: Ich denke - das wird vielleicht manchem streng wettbewerbsorientierten Kollegen weniger gefallen –, dass es bei sehr komplexen Aufgabenstellungen, insbesondere im Städtebau, einer besseren Verzahnung von Beteiligung und Planung bedarf: nicht abgetrennte Verfahren, vorgeschaltete Beteiligung, Wettbewerb und dann die Entwicklung von Rahmen- und Bebauungsplänen im stillen Kämmerlein, sondern zusammenhängende Prozesse mit klar definierten Leitplanken. Wir durften schon bei solchen Verfahren mitmachen und haben mitgenommen: nicht nur wir können von BürgerexpertInnen lernen, umgekehrt wirken unsere Planungsergebnisse auch in die Bürgerschaft zurück. Wir bekommen eine bessere Diskussion und mehr Verständnis für die Planung insgesamt. Deshalb: ja, in diesem Sinne wünsche ich mir eine neue Umsetzungsmentalität, die mit Offenheit und auf Augenhöhe vorangetrieben wird.Die Fragen stellte Gabriele Renz.