In den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts glaubte man in Alt-Cannstatt zu finden, was Stuttgart fehlte: Dichte, Kleinteiligkeit, authentisches Altstadtflair. Architekten setzten sich mit den historischen Haustypen auseinander, es entstanden Gebäude wie die Kronenapotheke oder das neue Bezirksamt, viele historische Häuser wurden restauriert, spektakulär war die Rettung und vorbildhafte Sanierung von Stuttgarts ältestem Wohnhaus, dem Klösterle. Das war vor 30 Jahren. Inzwischen ist es stiller geworden in Cannstatt. Kaufkraft fließt in die City und ins Umland ab. Mit dem Cannstatter Carré hat sich der städtebauliche Schwerpunkt Richtung Seelberg verschoben. Auch in der aktuellen Debatte zur Aufwertung der Neckarufer spielt die Altstadt eine untergeordnete Rolle. Dabei ist sie doch Kern und Ausgangspunkt der Siedlungsentwicklung im Neckartal.
Beim 11. kritischen Stadtspaziergang am 11. Oktober 2013 der Gruppe Stuttgart Ost der Architektenkammer haben wir uns ganz auf dieses kleine, enorm vielschichtige Gebiet konzentriert.
Begonnen wurde mit der Besichtigung des historischen Rathauses (Bezirksamt). Die ambitionierte Sanierung, nach der es vor kurzem wiedereröffnet wurde, könnte dazu beitragen, das öffentliche Interesse an Alt-Cannstatt wieder zu wecken. Der verantwortliche Architekt, Christoph Manderscheid, hatte sich freundlicherweise zu einer kleinen Führung bereit erklärt.
Im Cannstatter Stadtmuseum verschafften wir uns einen Überblick über die historische Entwicklung des Stadtteils.
Im Klösterle und in der Sonderausstellung zum Doppeljubiläum (550 Jahre Klösterle, 30 Jahre Sanierung) konnte uns Hermann Kugler, Initiator und Planer der Klösterle-Rettung und bis heute dessen Eigentümer, die spannende Geschichte aus erster Hand erzählen. Dazwischen und danach wurden bei unserem Rundgang auch die vielen Brüche in Entwicklung und Stadtbild gezeigt und es stellten sich Fragen: Wie steht es mit der Wohnqualität? Wie hält man dauerhaft die Balance zwischen Absinken zum sozialen Brennpunkt und Gentrifizierung? Wie sehen die Übergänge in angrenzende Stadtquartiere wie Kurviertel oder Seelberg aus? Warum wirken Wilhelmsplatz und Badstraße immer noch so unwirtlich, obwohl sie aufwändig umgestaltet wurden? Wo in der Altstadt könnte sich ein Gegengewicht zum Cannstatter Carré entwickeln? Kann der Platz des Wochenmarktes das leisten, obwohl er nie ein Marktplatz war und auch nicht so aussieht? Was bedeuten in diesem Zusammenhang Biergarten und Theaterschiff am Neckar - und warum schotten die sich Richtung Altstadt so schroff ab? Könnte das gegenüberliegende Ufer mit Wilhelma-Theater und Rilling-Mauer zur Vitalität des Stadtteils beitragen?
Neben den Genannten begleiteten uns wie immer Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die mit ihrem Wissen zu anregenden Gesprächen beigetragen haben.