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Die 42. Architekturgespräche am 27. Juni im Haus der Architektinnen und Architekten standen unter dem Motto „Bestand entdecken“. Und so viel sei eingangs verraten: den Bestand entdeckt man am besten mit minimalinvasiven Eingriffen und einer Nutzung, die das Gebäude nicht unterwirft, sondern sich an ihm orientiert. Darin waren sich die beiden Diskutanten Prof. Nanni Grau (Hütten und Paläste Architekten) und Andreas Knapp (Küssdenfrosch) einig.
Leerstehende Höfe im ländlichen Raum, alte Militärhallen, Kirchen ohne Gemeinde, aufgegebene Bunker – zugegeben, die vorgestellten Projekte von Hütten und Paläste oder Küssdenfrosch waren nicht die typischen „aus eins mach zwei“- oder Aufstockungsbeispiele. Sie zeigen vielmehr, dass das Potenzial des Bestands weit über die Bereitstellung des Wohnraums hinausgeht, wenn Architektinnen und Architekten offen und kreativ an Projekte herangehen. Brache Zentren können so revitalisiert, Gebäude mit neuen Nutzungen wiederentdeckt und eingenommen werden.
„Limitierungen sollten wir als Aufforderung zu kreativen Lösungen annehmen“, meinte Prof. Nanni Grau. Berlin sei heute so, weil nach der Wende brachliegende Räume mit wenigen Mitteln kreativ wieder nutzbar gemacht wurden. Das inspiriert die Arbeit bei Hütten und Paläste: „Wir wollen minimale Intervention bei Eingriffen, aber maximale Komplexität der Nutzung“. Ein Beispiel hierfür ist die U-Halle auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Mannheim. Zu Beginn des Projekts standen weder Nutzung noch Nutzer:innen für die einst militärisch genutzte Lagerhalle fest. Das Gebäude lag in einer Frischluftschneise. Durch eine Teilfreilegung und das Entfernen von Wänden, Decken und Tragwerk wurden Teile der U-Halle rückgebaut. Neue Höfe mit unterschiedlichen und abwechselnden Bespielungen entstanden. Durch mobile Giebelwände lassen sich Raumgrößen flexibel gestalten. Nicht mehr benötigtes Dach- und Wandmaterial wurde geschreddert und für die Geländemodelliierung verwendet. Frischluft strömt wieder durch den Park. „Durch die Öffnung bekommt die Anlage quartierartige Züge und gibt ihren Charakter preis“, so Grau – und das vor allem durch Rückbau, Flexibilität und Nutzungen, die die U-Halle mit Leben füllen.
Solche Projekte gelingen vor allem durch partizipative Planung. Dies zeigt auch das Beispiel eines alten Hofes in einem 300-Seelen-Dorf vor den Toren Berlins. Der Hof stellt das städtebauliche Zentrum dar, war aber jahrelang ungenutzt. Nun bietet er 100 Berliner:innen eine neue Heimat. Die Heuscheune wurde zum öffentlichen Raum für Co-Working, Kreativwerkstatt, Dorfwohnzimmer und Bar. All diese Nutzungen hatten sich die ursprünglichen Bewohner:innen erdacht und gemeinsam umgesetzt – mit viel Eigenleistung. „Wenn der Umbau einfach ist, ist auch mehr Beteiligung von Laien möglich“, so Grau. Darin liege der Charme: „Umbau und Reparieren bedeutet auch, das Unperfekte, das Bruchstückhafte akzeptieren zu lernen. Es kommen Dinge heraus, die man sich selbst nicht ausdenken kann.“
Bruchstückhaft waren die Projekte, die Andreas Knapp vorstellte, nicht. Aber auch hier spielte der kreative Umgang mit dem Vorhandenen die zentrale Rolle. Eine Kita wurde auf, statt vor einen Bunker gebaut und die Bunkergeschosse zum Kinderkaufhaus und Rückzugsräumen umgenutzt. Aus einem Schlachthof wurde ein veganer Foodcampus. Und mit abbaubarer Gastronomie an Stadtstränden, die nicht der Systemgastronomie zufallen sollten, wurden drei ungenutzte und bereits versiegelte Flächen am Düsseldorfer Rhein wiederbelebt.
Kunst und Kultur in einem ungewöhnlichen Zusammenhang zeigt auch das Kolumbarium von Küssdenfrosch, das in einer Kirche eingerichtet wurde. „Die Kirchengemeinde hatte kein Geld für den Weiterbetrieb und kein Geld für die Sanierung oder den Abriss. Wir haben die Kirche dann für einen Euro gekauft, das Dach saniert, wollten aber ansonsten möglichst wenig ändern“, so Knapp. Herausgekommen ist die Idee, in der Kirche Begräbnisse zu ermöglichen und Fächer für die Urnen zu schaffen, als eine Art „WG der Verstorbenen“. Das Besondere: in der Kirche finden Konzerte statt, die die Hinterbliebenen an der Seite der Verstorbenen besuchen können.
Schutz vor dem Tod sollte einst der Bunker in Düsseldorf Bilk bieten. Dann stellte sich die Frage, was man mit einem 7-geschossigen Bau ohne Fenster macht. Der Schlüssel auch hier: Partizipation. Zu einem Fest zur Ideensammlung kamen über 2.000 Menschen. Ämter und Behörden wurden von Beginn an involviert. So entstand ein Konzept aus unter anderem drei kommerziellen Etagen mit Räumen, die für Pop-Up-Formate, beispielsweise Modeschauen, angemietet werden können. Zusätzlich gibt es ein Fahrradparkhaus, Etagen für Kunstausstellungen, Multifunktionsräume, insbesondere für Musik und die jüngst erst zur angesagtesten Bar Düsseldorfs gekrönte „Schleuse 2“. Diese Nutzungsmischung und der dafür benötigte Umbau wurde mit Förderung des Bundes und durch Quersubventionierung finanziert. Der Bunker wurde mit Wohnungen aufgestockt, deren Verkaufserlöse direkt in das gemeinnützige Angebot des Bunkers investiert wurden.
Dieses bunte Portfolio von Küssdenfrosch erforderte auch unternehmerische Anpassungen. So wurde aus einer Projektentwicklung mit Architekturbüro, bzw. „Häuserwachküssgesellschaft“, zwangsläufig eine Gruppe, die Kolumbarien und Kulturorte betreibt und mittlerweile eben auch in der Gastronomie tätig ist. „Wenn wir Architekten für uns selbst Bauen, ist das einfach cooler. Und durch die Projektentwicklung können wir auch die Honorare aufbessern.“