Veranstaltungsort für Tagungen, Seminare, Produktpräsentationen oder Pressekonferenzen.
Informationen für private und gewerbliche Bauherrinnen und Bauherren, Städte und Kommunen.
Plenum 2 des ARCHIKON 2021 "Räume gestalten" befasste sich mit tragfähigen Strategien für die Entwicklung von Klein- und Mittelstädten
Der Impulsvortrag von Dr. Daniel Dettling (re:publik – Institut für Zukunftspolitik, Berlin) stimmte auf das Thema Stadt-Land-Beziehung ein. Grundlage seiner Analyse bildete eine Matrix von Megatrends, die konkrete Handlungsperspektiven für Planerinnen und Planer aufmachen können, die sich mit Räumen befassen. Die Wortschöpfung "Glokalisierung" bezeichnet den Megatrend schlechthin, nämlich die Auflösung der scharfen Grenzen zwischen Stadt und Land, auch zwischen Wohnen und Arbeiten. Durch Digitalisierung, durch technische Innovationen werde "die Welt zum Dorf und umgekehrt", so Dettling. In Kombination mit weiteren Megatrends wie "Neoökologie" (Cradle to cradle/Kreislaufwirtschaft), "Lokalnomics" (Hinwendung zu regionaler Ernährung/regionaler Wertschöpfung), "Co-Culture" (neue Nähe/Co-Working in Ortskernen) und allgemeinen Sharing-Entwicklungen würden nicht nur Stadt und Land als Räume des Gelderwerbs verschmelzen, sondern auch die Identitäten: Man ist lokaler Bewohner, aber auch global vernetzter Akteur. Auch für die Orte, an dem sich diese "Glocalists" niederlassen, gibt es eine Bezeichnung: die "progressive Provinz". Sie unterscheidet sich von der "rückständigen Provinz" nicht nur durch lange Linien der Ortsentwicklung, sie ist gekennzeichnet durch lokale Visionäre, attraktive Architektur (Bestandspflege, Modernisierung) und große Offenheit nach außen und innen (Vielfalt).
"Wir brauchen neue Formate des Dialogs auf der lokalen Ebene. Wir brauchen mehr, nicht weniger Bürgerbeteiligung, wenn es um neue Ansätze geht", sagt Dettling. Und es müsse die Bereitschaft da sein, in langen Linien zu denken. Zukunft müsse gestaltet werden als "Denken auf Vorrat".
Auch Andrea Gebhard (mahl gebhard landschaftsarchitekten, München) hob auf die zentrale Frage ab, wie sich ein Ort definiert und ob sich ein lokaler Akteur findet, der mit einer Idee andere hinter sich versammeln kann. Gebhard griff den Begriff von AKBW-Präsident Markus Müller von den motivierenden Planungsinstrumenten auf. Verwaltung, Bürgerschaft und Architekten müssten zwingend in einem offenen Prozess zusammenarbeiten. Dies gestalte sich bisweilen zäh, aber sei am Ende nachhaltig. Gebhard brachte einen zusätzlichen Aspekt ein, den sie für das Gelingen von Räumen, gerade in Ortschaften, für entscheidend hält: die Einbettung kultureller Spots in die Ortsentwicklung. "Kultur ist keine Randerscheinung. Sie ist die Mitte unserer Gesellschaft. Neue Quartiere gelingen immer da, wo kulturelle Nuklei sind und eine Mitte mehr ist als Einkaufen, Verwaltung und Restaurant." Gebhard spricht – analog zur "progressiven Provinz" Dettlings – von "zukunftsweisender Provinzialität: Was da ist, erkennen und entwickeln."
Die Diskussion im Plenum II "Räume gestalten" drehte sich um Planungsinstrumente und -methoden. Matthias Schuster, Freier Architekt und Stadtplaner sowie Vorsitzender der Strategiegruppe Stadt | Land der Architektenkammer, sieht kein Defizit an Instrumenten. Entscheidend seien die Planungsinstrumente ohne Rechtsbindung, die informellen wie Beteiligungsformate und vorgeschaltete Ideensammlungen. "Eigentlich ist alles da, wir müssen die Instrumente nur kreativ einsetzen", sagt Schuster. "Wir müssen sie neu mischen und anwenden." Die Nivellierung der Identitäten gehe nicht einher mit der Nivellierung der Planungsansätze. Spätestens die Topografie, die Lage eines Ortes, fordere individuelle Ansätze, so Schuster.
Stephan Lenzen (RMP Landschaftsarchitekten, Bonn) hebt darauf ab, aus planerischer Sicht gebe es keinen Unterschied zwischen Land und Stadt, alles sei Landschaft. Beide Siedlungsräume könnten nur miteinander, allerdings gestalte derzeit niemand den Freiraum dazwischen. Diesem komme jedoch eine entscheidende Rolle zu. Lenzen spricht sich für interkommunale Projekte statt ortsbezogener IBAs aus.
Prof. Dr. Vanessa Miriam Carlow, Uni Braunschweig, beklagt insgesamt, dass viele "funktionale Verknüpfungen nicht verfasst" seien, also Beziehungen zwischen Orten und Akteuren – rechtlich gesehen – nicht mit geplant werden müssten, diese aber über das Funktionieren einer Neuplanung mitentschieden. Als Beispiel nannte sie das Einpendeln über Tag, das eine Planung verändere, ebenso wie das Ausbleiben von Berufspendlern. Partizipationsprozesse seien in diesem Sinn neu zu denken, so Carlow.
Prof. Dr. Agnes Förster, RWTH Aachen University, kritisiert ebenfalls, dass bestimmte Gruppen oder Ebenen in Planungen oft außen vor blieben. Perspektiven, wie sich Wandel vollziehe, gelte es zwingend in eine solche "Mehr-Ebenen-Planung" einzubeziehen.
Susanne Schreiber, Baubürgermeisterin der Stadt Herrenberg, schildert für ihre Kommune aktuell laufende, große Planungsprozesse. "Unser Thema ist, die guten Konzepte auch der Bürgerschaft und dem Gemeinderat nahezubringen." Diese seien keine Experten und bräuchten "handfeste Konzepte", man kommuniziere deshalb über in verdauliche Tranchen geschnittene Teile. "Aufrichtigkeit in der Kommunikation" und Umsetzbarkeit seien Schlüsselfaktoren. Schreiber unterstrich die Notwendigkeit vorausschauender Planung, die zugegebenermaßen mit regelmäßigen Wahlterminen kollidiere. Aber: "Nur der lange Blick erlaubt den gemeinnützigen, den nicht eigennützigen Blick."
Prof. Mark Michaeli, TU München, sieht darin den entscheidenden Punkt: Eine Ortsentwicklung müsse sich mit der ferneren Zukunft befassen mit Perspektiven von bis zu 50 Jahren, etwa um Bodenvorratspolitik betreiben zu können. Wichtig sei, nicht mit Drohszenarien zu arbeiten, sondern das Positive dieser Gemeinschaftsanstrengung herauszustreichen.