Der Sommerliche Empfang ist zu alter Stärke zurückgekehrt: Gut 400 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft belebten am 3. Juli den Panoramagarten des Hauses der Architektinnen und Architekten.
Wohnbauministerin Nicole Razavi, die auch schon vor zwei Jahren die Festrede hielt – damals pandemiebedingt vor kleinerem Kreis – lobte die „hervorragende Zusammenarbeit“ mit der Kammer und dankte für die „kluge, kluge Begleitung“. Viel sei in den vergangenen 24 Monaten in engem Schulterschluss auf den Weg gebracht worden, so auch AKBW-Präsident Markus Müller in seiner Begrüßung, etwa der Strategiedialog „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ oder der Staatspreis Um-Baukultur.
Wohnbauministerin Nicole Razavi MdL und Kammerpräsident Markus Müller
Als zentrale Herausforderung nannte er den Wohnungsbau und untermauerte dies mit Zahlen. „Laut Baukosteninformationszentrum, der Kostendatenbank der Architektenkammern, stiegen allein die Kosten im Wohnungsbau seit 2017 um 71 Prozent“, berichtete er und ergänzte: „Laut Statistischem Bundesamt wurden bundesweit bis Ende April nur noch 17.200 Wohnungen genehmigt – 9.000 weniger als im Vorjahr.“ Das bundesweit nicht eingelöste Versprechen, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, habe das Vertrauen in die Politik erschüttert. Während die Baubranche vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sei, „trifft die jetzt aufziehende Kostenkrise die Bauwirtschaft ins Mark.“ Der Auftragsbestand der Architekturbüros sei so gering wie seit sieben Jahren nicht mehr, erklärte Müller. Die Konsequenz: „Erste Büros entlassen Mitarbeitende. Die Zeichen stehen auf Krise.“
„Wir haben große, schwierige Aufgaben vor uns“, ist auch Wohnbauministerin Razavi überzeugt und beteuerte: „Wir wollen schneller bauen, wir wollen besser bauen und wir wollen vor allem mehr und gut sanieren.“ Und dies vor dem Hintergrund einer Stimmung am Bau, die sich momentan am „Gefrierpunkt“ befinde – eine wahrlich „toxische Mischung“. Razavi verlieh ihrer Sorge Ausdruck, ob sich überhaupt noch im frei finanzierten Bereich Bauherrschaften für den Wohnungsbau fänden, denn im Bundesdurchschnitt müsse mit 17,50 Euro Kaltmiete und in Stuttgart ihres Wissens sogar 23 Euro kalkuliert werden, um auf eine schwarze Null zu kommen. Das rechne sich nicht. „Wir wissen, dass Wohnen für Baden-Württemberg eine veritable Standortfrage ist“, sagte Razavi und verwies auf gut ausgebildete Menschen, die wegen dieser enormen Kosten wegzögen. Umso wichtiger seien die Mittel aus der Wohnraumförderung: im aktuellen Doppelhaushalt habe die Landesregierung sie um 300 Millionen auf mehr als eine Milliarde Euro erhöht.
Dr. Joy Alemazung, Bürgermeister der Gemeinde Heubach, im Gespräch mit Ministerin Razavi
Aber auch die kleineren Programme hätten ihren Sinn – etwa das Sonderprogramm „Wohnen im Denkmal“, das seit seinem Start im Mai „wie geschmiert“ laufe. Es habe wohl die Lebenswirklichkeit der Eigentümerinnen und Eigentümer erreicht. Das wirkungsmächtigste Programm sei jedoch die seit über einem halben Jahrhundert laufende Städtebauförderung, die allein in diesem Jahr rund 2.600 umgenutzte, sanierte oder neugebaute Wohnungen umfasste.
Dass das Wohnbauministerium „neue, qualitätsorientierte und bürokratiearme Antragsverfahren, beispielsweise im Programm ,Innovativ Wohnen‘ im Markt platziert“, hält Markus Müller für genau richtig. Zu bedenken gab er allerdings: „Wir sind uns mit vielen Unternehmen der Wohnungswirtschaft einig: Jetzt muss der Erfolg des Mittelabrufes so flankiert werden, dass die beantragten Projektmittel auch tatsächlich in gebaute Wohnungen überführt werden.“ Die Kammer suche den Schulterschluss mit dem Bauministerium und weiteren politischen Entscheidungsträgern im Land, um hierfür die passenden Maßnahmen zu entwickeln.
Klaus Ranger MdL, Mitglied im Ausschuss für Landesentwicklung und Wohnen (r. im Bild)
Perspektivisch verwies Razavi auf die Volldigitalisierung des Bauantrags – von der Antragstellung über die Bearbeitung bis hin zu Genehmigung und Bescheid. „Wir wollen das virtuelle Bauamt Baden-Württemberg in diesem Jahr auf den Weg bringen und verwirklichen.“ Einen Änderungsentwurf habe sie bereits im April 2022 ins Kabinett eingebracht. Ihr Ziel sei es, baurechtliche Verfahren zu beschleunigen, zu entbürokratisieren und zu vereinfachen. Was ihr persönlich vorschwebe, nannte die Ministerin ebenso: Einführung der Genehmigungsfiktion, Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, verbesserte Qualifizierung der Mitarbeitenden in den Fachbehörden „und nicht zuletzt wollen und werden wir auch uns die baurechtlichen Standards noch mal sehr genau ansehen.“ Beim „Entrümpeln der LBO“ setze sie auf die Unterstützung der Architektenschaft, auf deren Kreativität und Mut. Zum Stichwort Innovationskraft warf sie auch ein Schlaglicht auf die Internationale Bauausstellung. Begeistert lobte sie die vielen „tollen Projekte“ und bedauerte, dass einige durch die aktuellen Entwicklungen ausgebremst würden.
Als drittes großes Zukunftsthema verwies Razavi auf den Landesentwicklungsplan, der derzeit neu geschrieben werde und auch das Ziel verfolge, „günstige Bedingungen für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung“ zu schaffen „als Grundlage für attraktive und qualitätsvolle Wohnquartiere mit guten baulichen Dichten“. Ein Eckpunktepapier sei im Entstehen. Alle wichtigen Akteurinnen und Akteure, auch aus dem Bereich des Planens und Bauens, seien von Beginn an involviert. Die „riesigen Schnittmengen zwischen Wohnbauministerium und Architektenkammer” betonte auch Präsident Müller und resümierte: „Wir freuen uns, dass Sie bei den wichtigen Themen mit Konzepten unterwegs sind und wir so vertrauensvoll miteinander arbeiten.“