Das erste AKBW-Symposium „Forschung in der Architekturpraxis“ sucht neue Antworten im Wissens-Austausch
Mit den hohen gesellschaftlichen Erwartungen an zukunftsfähige Lösungen aus dem Planungssektor stellt sich die Frage, wie sich unser Berufsstand inhaltlich weiterentwickelt. Das Interesse an „Forschung“ in der Praxis steigt. Welche Beiträge aus der Wissenschaft sind relevant und integrierbar in den Alltag der Planungsbüros und wie? Wie sieht das Arbeitsfeld zwischen Forschung und Planung aus, welche Netzwerke entstehen, wie werden Erkenntnisse bekannt? Welche Themen muss der Berufsstand in die Forschung tragen, welche zusätzlichen Qualifikationen brauchen wir? Wie kann der Zugang zu einer integrierten Forschung für die Planung ermöglicht werden? Darüber berichteten die Referent:innen im ersten AKBW-Symposium „Forschung in der Architekturpraxis“ am 6. Oktober 2023.
Arbeitsfelder – Forschen und Entwerfen
„Forschung zur Architektur von Gesundheitseinrichtungen” (Vortrag als PDF)
Ihr gemeinsames Interesse an der Wirkung, die ein Raum auf den Menschen hat, führte die Architektin Gemma Koppen und die Architekturpsychologin Dr. Tanja C. Vollmer zusammen. Mit dem Wunsch, Forschung in die Praxis zu integrieren, gelingt es ihnen, die beiden Disziplinen zu verschränken. Sie sehen die Architektur als räumliche Intervention im Fühlen, Denken und Handeln des Menschen. Mit der Interventionsforschung dokumentieren sie den Zusammenhang von Körper und Raum und weisen eine veränderte Raumwahrnehmung erkrankter Individuen nach. Bisherige Gestaltungskriterien von Räumen in Gesundheitseinrichtungen sind entsprechend überholt und eine Neuausrichtung des Entwurfsprozesses ist erforderlich. Koppen und Vollmer entwickeln evidenzbasierte Gestaltungsprinzipien für gesundheitsfördernde Räume, die über ihre Wirkung zum Co-Therapeuten werden und die bereits Anwendung in ihrem Praxisalltag finden. Mit der Evaluation gebauter Beispiele und ihren Publikationen könnten ihre Prinzipien zum Standard im Gesundheitsbau werden.
Publikationshinweis: Architektur als zweiter Körper – Eine Entwurfslehre für den evidenzbasierten Gesundheitsbau. G. Koppen und T-C. Vollmer
„Im Dazwischen engagiert – in Forschung und Bauherrschaftsvertretung“ (Vortrag als PDF)
Bei ihrer Forschung zum Zwischenraum und dem „Dazwischenwohnen“ zeigte sich, dass der Wohnraum nicht mit den Wänden, Türen und Fenstern endet, sondern der erweiterte Fassadenraum eine existenzielle Wohnfunktion innehat und der Zwischenraum somit ein Grundbedürfnis ist. Mögliches Konfliktpotenzial und Konkurrenzsituationen müssen allerdings mit dynamischen Regeln durch beispielsweise eine Hausordnung begleitet werden. In ihrer Multirolle als Forscherin, Architektin und Bauherrschaftsvertreterin nimmt Prof. Angelika Juppien die einflussreiche Rolle der Bewohnenden auf mehreren Ebenen wahr. Da die Bewohnenden durch das Leben im Gebauten bewusst und unbewusst eine gestaltende Rolle einnehmen, ist der Entwurf nicht mit der Fertigstellung des Gebäudes beendet. Damit werden Bauen und Gebrauch zu zwei Momenten eines einzigen Gestaltungsprozesses. Mit Methoden der narrativen Spurensuche und Partizipation können diese Erfahrungswerte erforscht und in die Praxis überführt werden.
Publikationshinweis: Atlas des Dazwischenwohnens – Wohnbedürfnisse jenseits der Türschwelle. Angelika Juppien und Richard Zemp
„Research by Design // Chancen der entwurfsbasierten Forschung“ (Vortrag als PDF)
Seine ersten Forschungserfahrungen sammelte Dr. Hans Drexler in der technischen Bauforschung. Er sieht den Ursprung einer jeden Forschung immer in einem Problem. So setzte er sich in seiner entwurfsbasierten Promotion zum Problem „the limits of growth“ das Ziel, Nachhaltigkeit zur Entwurfsstrategie zu machen. Durch die gleichzeitige Arbeit im Praxisalltag konnte er schnell Rückschlüsse zwischen Praxis und Forschung ziehen und mithilfe von Case-study-Entwürfen Bausysteme entwickeln, die im Bottom-up-Entwurfsprinzip ihre Anwendung finden. Die Systematisierung der Prozesse ermöglicht ein effizienteres Entwerfen. Somit wurde das Entwerfen eine wissenschaftliche Methode zur Wissensproduktion. Damit ist die entwurfsbasierte Forschung mit explizit gemachten Prozessen ein Forschungszweig, in dem die komplexe Wirkung von Räumen erfasst werden kann und der Kernkompetenz des „Denkens in Räumen“ gerecht wird. Die Kreativmethode eignet sich besonders für komplexe Problemstellungen, die meist erst nach der Formulierung der Lösung verstanden werden können.
Publikationshinweis: Open Architecture – Nachhaltiger Holzbau mit System. Hans Drexler
Netzwerk – Kommunizieren und Transferieren
„Forschungserkenntnisse im Denkmalbereich“
Aus der Sicht des Bauherrschaftsvertreters der Wüstenrot Stiftung für denkmalpflegerische Projekte spielt das forschende Vorprojekt, die sogenannte Phase Null, eine entscheidende Rolle. Die vielschichtige baukulturelle Bedeutung von Bestandsgebäuden ist Grundlage des Handels. Dabei stehen die Demut vor dem Bestand, der kulturelle und gesellschaftliche Wert für die Zukunft sowie Ziele der materialtechnischen und baukulturellen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung im Fokus. Mit verschiedenen Methoden wie z. B. Realversuchen können Fehler bereits vorab im kontrollierten Umfeld gemacht werden und mit den Erkenntnissen planungssicher sowie kosten- und ressourcenschonend geplant und ausgeführt werden. Das Handwerk und dessen Expert:innen, das Arbeiten im inter- und transdisziplinären Team sowie die Dokumentation der Erkenntnisse sind für einen erfolgreichen Prozess elementar. Breit zugängliche Publikationen sorgen zudem für gesellschaftliche sowie politische Wertschätzung der Baukultur im Allgemeinen und der Phase Null.
„Forschung im Diskurs“ (Vortrag als PDF)
Das Architekturschaufenster in Karlsruhe ist eine Kommunikationsplattform, Schnittstelle und ein Treffpunkt für alle, die an der Baukultur beteiligt sind oder es in Zukunft sein möchten. Ausgehend von der Frage, wie die Architekturpraxis auf eine komplexer werdende Welt reagieren kann, entstand die Vortragsreihe Forschungsdrang. Seit 2017 waren bereits vierundzwanzig Forscher:innen mit diversen Themen, Fragestellungen und Methoden eingeladen, die den Austausch als Testfeld für Reflexion, Feedback und Sichtbarkeit nutzen können. Hierbei wird auch die offene Diskussion im Arbeitsprozess gefördert und Scheitern damit als Bestandteil der iterativen Prozesse thematisiert. Austausch und der Vernetzung ermöglichen einen Perspektivwechsel, über den andere und neue Fragestellungen in den Fokus rücken.
„Forschung im Diskurs“ (Vortrag als PDF)
In dem internationalen Doktorandenkolleg „Forschungslabor Raum“ mit dem Schwerpunkt „Urbane Transformationslandschaften“ schrieb Janna Hohn ihre Doktorarbeit zum Thema „Städtische Rückseiten – das Bindegewebe der Stadt“. Dabei empfand sie das Arbeiten im Kolleg als große Unterstützung im Prozess, sich als Praktikerin mit der theoretischen Auseinandersetzung eines Themas zurechtzufinden. Als Architektin mit einem Schwerpunkt im Städtebau ermöglichte ihr die Promotion und die intensive Beschäftigung mit einem relevanter werdenden Thema, sich zu spezialisieren und als Expertin sichtbar zu werden. Mit ihrem spezifischen Fachwissen konnte sie sich in Wettbewerben und in der Architekturpraxis erfolgreich positionieren, wobei die Wahl des Themas bei der Übertragbarkeit des neu gewonnenen Wissens in die Praxis eine wesentliche Rolle spielt. Zudem erlangte sie ein breites Netzwerk, das ihr Austausch und Reichweite bietet. Somit kann die Promotion ein Weg von vielen sein, durch die Spezialisierung eine Basis für die Architekturpraxis zu schaffen.
Publikationshinweis: Städtische Rückseiten – Das Bindegewebe der Stadt. Janna Hohn
„Forschung und Förderung für die Bauwende“ (Vortrag als PDF)“
Seit ihrem Ursprung als Bauforschungsförderung in Verbindung mit dem Wohnraumförderungsgesetz nimmt sich die Forschungsinitiative Zukunft Bau den drängenden Themen an der Schnittstelle von Gesellschaft und Architektur an. Aktuell stehen die komplexen Problemstellungen der Bauwende im Fokus. Da die Krisen breit sind und uns umfangreich betreffen, sieht Helga Kühnhenrich ein Vorankommen in der Bauwende nur durch die Gründung von Allianzen, die Verschränkung von unterschiedlichen Fachbereichen und ein damit entstehendes breites Transformationswissen. Der Austausch von Forschung und Praxis, Reflexionsräume zur Evaluierung und experimentelle Methoden wie Reallabore sollen von Zukunft Bau entsprechend weiter gefördert werden. Denn Experimente und Paradebeispiele können auf politischer Ebene Impulse geben, starre Strukturen aufzubrechen sowie öffentliche Förderungen zu erhöhen. Angesichts der drängenden Zeit müssen diese Prozesse allerdings parallel ablaufen. Ein weiterer Beitrag von Zukunft Bau liegt in der Dokumentation und dem Transfer von Forschungserkenntnissen sowie der Wissensvermittlung durch u. a. Veranstaltungen und kostenfrei zugänglichen Publikationen.