Architektur macht Schule: Wie lässt sich das Thema Baukultur vermitteln? Einführungsseminar am 5. Mai 2010 in Stuttgart
"Alle Aktivitäten haben das Ziel Baukultur zu kreieren", fasste Prof. Winfried Engels am 5. Mai seinen Überblick über die Initiative Architektur macht Schule zusammen. Der Vorsitzende der gleichnamigen Projektgruppe konnte sich wieder über gut gefüllte Seminarreihen freuen, auch die vierte der im Halbjahrestakt stattfindenden Veranstaltungen zog zahlreiche neue Gesichter an.
Viel habe die AKBW seit Ende 2007 auf den Weg gebracht. Dazu zählen die erfolgreiche Beteiligung an der Lehrerfortbildung, die Veröffentlichung von Projektdokumentationen, die Kooperationspartnerliste mit mittlerweile mehr als 110 eingetragenen Mitgliedern sowie eine kommentierte Literaturliste mit über 70 Titeln. Zwei Grundpfeiler nannte Engels: Zum einen die Sensibilisierung der Schüler über Projekte zur Raumerfahrung, zum Sehen-Lernen und zur Partizipation, zum anderen die erhöhte Aufmerksamkeit für den Schulbau als drittem Pädagogen. "Doch ist die Baukultur eine zartes Pflänzchen, das wir lange gießen müssen, bis es nachhaltig gedeiht." Stärkung werde dem Pflänzchen auch am 21. Juni zuteil, wenn Staatssekretär Georg Wacker MdL und Präsident Wolfgang Riehle eine Gemeinsame Erklärung von Kultusministerium und Architektenkammer Baden-Württemberg unterzeichnen.
Erfolgsrezept in Tübingen
Aus Tübingen berichtete der Architekt Bruno Müller. Er ist seit rund zwei Jahren Mitglied des dortigen Arbeitskreises. 2005 gegründet hat sich die Gruppe zunächst theoretisch mit dem Bereich auseinandergesetzt und Themenvorschläge für den Unterricht entwickelt. Es folgten zahlreiche praktische Projekte an Schulen, flankiert von jährlichen Treffen mit Lehrern, um Kontakte zu pflegen und Erfahrungen auszutauschen. Zum Erfolgsrezept der Tübinger Gruppe gehörten darüber hinaus Fortbildungsveranstaltungen für Pädagogen und last not least das unermüdliche Engagement der Vorsitzenden Renate Bickelmann.
Bruno Müller berichtete von seinen eigenen praktischen Erfahrungen mit einer 10. Gymnasialklasse – auf Bitten einer Kunstlehrerin sollte er unter anderem einen Abriss der Architekturgeschichte geben. Erfrischend ehrlich sein Kommentar: "Bis auf wenige Ausnahmen waren Schüler für das Thema oder wie es angeboten wurde kaum zu begeistern."
Wache Blicke und auch Widerstand hätte es erst bei Stichworten wie politischer Missbrauch von Architektur gegeben oder der Behauptung Automuseen seien die neuen Sakralbauten der Gegenwart. "Das regte und erregte die Gemüter. Da wurde es hautnah und greifbar." Müllers Fazit: ein Projekt mit Schülern will gut vorbereitet und mit persönlicher Begeisterung angegangen sein. Vernünftig findet er es deshalb, das eigene Lieblingsthema in verschiedenen Varianten – theoretisch, praktisch, an verschiedene Altersstufen angepasst – auszuarbeiten und aktiv anzubieten.
Esslinger Projekte
Als 'alter Hase' konnte die Esslinger Architektin Barbara Thiele-Höfler von zahlreichen Projekten an Grundschulen berichten. Sie arbeitet seit 2003 regelmäßig mit Erst- bis Viertklässlern zusammen. Im Zentrum stehen dabei Themen wie Gebäude- und Stilkunde, Wohnungs- und Städtebau, Technik und Umweltschutz sowie Material- und Formkunde. Mit der Zeit habe sie auch gelernt mit ungeahnten Situationen umzugehen. Ihr klares Fazit: "Architektur in der Schule macht Spaß – Schülern, Lehrern und Architekten!"
Zum Abschluss eines Projektes bietet sich laut Thiele-Höfler auch immer ein Bericht für die Presse an. Diese sei fast immer für Themen offen, die mit Kindern zusammenhängen. Die Landesgeschäftsstelle wird die oben erwähnte Kooperationserklärung mit dem Ministerium als Anlass nehmen die Initiative umfassend der Presse vorzustellen. Darüber hinaus soll zum gleichen Termin auch der gedruckte Flyer "Architektur macht Schule" vorliegen
Der Blick des Pädagogen
Großes Verständnis brachte Studiendirektor Wolfgang Stöhr für die oben geschilderten Erfahrungen auf. Jugendliche nähmen oft ganz bestimmte Rollen ein. So könnten 16-Jährige zwar Riesenpartys perfekt durchorganisieren, wären in der Rolle als Schüler aber gleichzeitig oft unfähig kleinere Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erledigen. Um Unterricht erfolgreich zu bestreiten, sei eine für die jeweilige Altersgruppe passende Ausformung des Projekts entscheidend - Stöhr gab einen Überblick über die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Klassenstufen.
Darüber hinaus verwies er auf die Bedeutung von Architektur im Fach Bildende Kunst: Sie sei der Bereich, der für die Schüler und ihr späteres Leben am meisten Relevanz habe. Doch "dafür, dass wir Architektur unterrichten, sind wir an der Kunstakademie nicht ausgebildet. Bestenfalls stilgeschichtlich können wir Ansätze bieten. Alles andere wird mehr oder weniger dilettantische Bastelei." Entsprechend nannte Stöhr zahlreiche konkrete Möglichkeiten für eine sinnvolle Zusammenarbeit von Pädagoge und Architekt.
Von den Kindern viel gelernt
Die Stuttgarter Architektin Ruth Rademacher schloss den Reigen von Projekt-Berichten: Im Rahmen eines geplanten Erweiterungsbaus für eine Förderschule beteiligten sich zehn Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen und Behinderungen an einem Workshop. Mit verschiedenfarbigen Bändern markierten sie "gute Räume" und "schlechte Räume" und artikulierten die eigenen Wünsche und Vorstellungen für das neue Schulgebäude. Beeindruckend war auch die Schilderung der ganz eigenen Wahrnehmungsweise dieser Nutzer: "Wir Architekten haben von den Kindern viel gelernt."
Unter Moderation von Claudia Knodel, die die Projektgruppe "Architektur macht Schule" im Hauptamt begleitet, schlossen sich Fragen und Austausch mit den Teilnehmern an. Manche nahmen gleich vor Ort die Gelegenheit wahr, sich als neue Kooperationspartner in die Liste einzutragen.