Dorothea Roos: "Der Karlsruher Architekt Hermann Reinhard Alker. Bauten und Projekte 1921 bis 1958"
Wasmuth Verlag, Tübingen 2011 410 Seiten mit zahlreichen sw-Abbildungen 49,00 Euro
Sachte Neulichkeit
Wie sich manche Aufgaben doch wiederholen... Als Hermann Alker (1885 - 1967) nach vergeblichen Versuchen, in Karlsruhe richtig Fuß zu fassen, 1937 Stadtbaurat in München wurde und damit Hitlers Architekt für die nationalsozialistische Neugestaltung der „Hauptstadt der Bewegung“, war seine Hauptaufgabe die Verlegung und Umwandlung des Hauptbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof, um wertvolles Bauland für monumentale Prachtstraßen in der Innenstadt zu gewinnen. Man hätte das Projekt eigentlich auch damals schon „München 21“ nennen können. Bei der Präsentation der Pläne sollten die dramatischen Eingriffe in den historischen Baubestand verschleiert werden, doch der bevorstehende Abriss der ersten evangelischen Kirche Münchens von 1833 erhitzte bereits die Gemüter. Alker versuchte die Stimmung zu beruhigen, indem er in einem Interview im Völkischen Beobachter die Trassenplanung der Reichsbahn für den drohenden Abriss mittelalterlicher Gerberhäuser verantwortlich sah und alternative Gleisführungen vorschlug. Weil er diese Varianten jedoch leichtsinnigerweise ohne Autorisierung des Führers ins Spiel brachte wurde Alker kurzerhand seines Postens enthoben und aus der NSDAP geworfen. Da Hitler ihn wohl persönlich schätzte, durfte er weiter für das Dritte Reich planen, doch war dies einer von einer ganzen Reihe von Karriereknicken des ambitionierten und für die badische und insbesondere die Karlsruher Baugeschichte interessanten Architekten.
Alker lieferte daraufhin noch einen Entwurf zur Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs als Durchgangsbahnhof am Fuß des Rosensteins und wollte am umgewidmeten Bonatzbau Seitenflügel abreißen und eine Erweiterung der Hauptfassade vornehmen. Währenddessen plante Paul Bonatz am Münchner Hauptbahnhof weiter. Zum Glück war und blieb all das Utopie!
Dorothea Roos hat mit ihrer Dissertation über Hermann Alker eine umfassende Monographie vorgelegt, in der sie seine Lebensabschnitte und Werkphasen plastisch schildert, ein detailliertes Werkverzeichnis vorstellt und damit einen wertvollen Beitrag zur Baugeschichte der 1920er Jahre in Baden leistet. Dass von den 230 Projekten nur 50 realisiert wurden und zwar zu 78 Prozent zwischen 1921 und 1931, zeigt die gewisse Tragik dieses Architekten.
Alker blieb zeitlebens ein deutlicher Ostendorfschüler und hier ist Roos in ihrer Bewertung vielleicht etwas zu gnädig. Denn Ostendorf propagierte als Professor an der Karlsruher TH zwar die Vereinfachung der Baukörper und Grundrisse gemäß den Werkbundprinzipien, hielt jedoch mit schulmeisterlicher Verbissenheit an einer schematischen, axialsymmetrischen und damit ebenso staubtrockenen wie uninspirierten Gestaltung nach spätbarocken und klassizistischen Vorbildern fest, die jedoch der wahren Qualität der Alltagsarchitektur jener Epochen Hohn spottete. Ostendorfs Einfluss ist ein gewisses Phänomen, das sich nach seinem frühen Soldatentod im Ersten Weltkrieg auch darin niederschlägt, dass seine traumatisierten Schüler - darunter Alker - seine geplanten Publikationen wie die „Sechs Bücher vom Bauen“ posthum noch teilweise herausbrachten. Besonders aufschlussreich wird die Kenntnis von Alkers Werk, da man es nun mit demjenigen anderer Karlsruher Absolventen vergleichen kann, wie etwa dem Schäfer- und Laeugerschüler Paul Schmitthenner, und sieht, wie die Stuttgarter Schule aus den gleichen Grundprinzipien subtile Gestaltungen mit malerischer Wirkung entwickelte.
Über die penible baukonstruktive und handwerkliche Qualität hinaus erscheint Alkers Architektur oftmals etwas harmlos. Er machte die verschiedenen Stilrichtungen des 20. Jahrhunderts ansatzweise mit und verarbeitete den Expressionismus und die moderate Moderne eines Peter Behrens, wie etwa bei der Matthäuskirche in Karlsruhe und einem Wohnblock an der Ebertstraße. Der mit traditionellen Bauweisen kombinierte experimentelle Einsatz von Beton durchzieht allerdings sein Werk, was ihn laut Roos als "Avantgardisten unter den Ostendorfschülern" auszeichnet . Schöne Anklänge an die Neue Sachlichkeit zeigen seine Tribüne des Hochschulstadions Karlsruhe mit elegantem Kragdach und erstem Einsatz von Waschbeton in Deutschland sowie eine Sporthalle in Freiburg oder der Anbau an das Hotel Viktoria in Heidelberg. Im Kontext aller Werke fühlt man sich jedoch auch an das Bonmot der „sachten Neulichkeit“ erinnert.
Die gut erhaltene, originelle und landschaftlich eindrucksvoll eingebundene Thingstätte in Heidelberg von 1934 - eine nationalsozialistische Freilichtbühne für germanische Weihespiele - eröffnete Alkers riesige, doch eher kraftlos und unentschlossen artikulierte neoklassizistische Naziplanungen, von denen nur das Grenzlandtheater in Zittau realisiert wurde.
Zu hart findet Roos die Strafen für Alkers NS-Engagement, das sie moralisch nicht bewertet, während sie diese Werke stilistisch streng kritisiert: Im Spruchkammerverfahren erhält Alker neben einer hohen Geldstrafe (selten erfährt man solche Details: 25 % seines Besitzes + Verfahrenskosten bei Kontensperrung) bis 1950 Berufsverbot als Architekt und Professor. Gerade auf eine ordentliche Professur hatte er bis in die 1930er Jahre lange wegen des Widerstands seiner Karlsruher Kontrahenten Hermann Billing und Ernst Otto Schweizer warten müssen, um überhaupt seinen Lebensunterhalt absichern zu können, nachdem ihm eine Karriere in der Bauverwaltung zugunsten der Kriegsheimkehrer versagt blieb.
Das Buch lohnt sich auch, weil Alkers Ausbildungsweg und der Ablauf seines Hochschulstudiums sehr detailiert dokumentiert sind, wodurch sich ein exemplarisches Stimmungsbild der sich vom Historismus befreienden Karlsruher Hochschule bis hin zu den sich voneinander abgrenzenden Schülercliquen abzeichnet. Roos stellt die teils konkurrierenden Charakterköpfe des Lehrkörpers (Josef Durm, Carl Schäfer, Max Laeuger, Hermann Billing und Friedrich Ostendorf) prägnant vor, die bewirkten, dass es keine einheitlich wahrgenommene Karlsruhe Schule gab, sondern polarisierende Schäfer- und Ostendorfschulen. Verblüfft entnimmt man einer Anmerkung, dass Ostendorf als Offizier gemeinsam mit vielen seiner Schüler in den Krieg zog, sein Kompagniestab großteils aus Architekturstudenten der Karlsruhe Hochschule bestand und mit ihm im selben Einsatz vier Fünftel seiner Assistenten fielen. Diese verdienstvolle Studie setzt sich fort mit der Analyse von Alkers eigener akademischer Lehrpraxis, die auf architekturhistorischen Forschungen über Michelangelo und die Renaissance aufbaute.